14.01.2021

Diana Sujew macht Schluss

Nach 18 Jahren Leichtathletik hängt Diana Sujew ihre Laufschuhe an den Nagel. Im Interview nennt die EM-Zweite von 2012 Beweggründe und blickt auf ihre überaus erfolgreiche Karriere zurück.

Diana, du bist mit 12 Jahren zur Leichtathletik gekommen. Wie kam es dazu?
Der Bruder einer Freundin hat beim TSV Bonames trainiert und sie hatte mich damals gefragt, ob wir nicht mal Lust hätten, zu kommen. Die Gruppe war sehr, sehr klein. Anfangs sind wir dann zweimal die Woche zum Spaß ins Training. Dort haben wir auch verschiedene Disziplinen, wie beispielsweise werfen, ausprobiert. Es war eher Kinder- und Jugendtraining, jedenfalls kein Training mit System.

Hast du davor auch schon Sport gemacht?
Mal Turnen, mal Jazzdance, als Kinder sind wir Inliner gefahren. Aber nie ernsthaft, sondern eher ‚just for fun‘.

Ab wann hat sich gezeigt, dass du das Potenzial besitzt, Leichtathletik als Leistungssport auszuüben?
Irgendwann hat uns unser erster Trainer beim TSV Bonames auf die Läufe geschickt, weil er gemerkt hat, dass wir nicht wirklich superschnell sind und auch nicht gut springen oder werfen können [lacht]. Nach dem Wechsel zu Bad Vilbel in der Jugend brachte uns unser damaliger Trainer zum Langsprint und so hat sich das immer weiterentwickelt. Irgendwann kamen die ersten 800-Meter-Wettkämpfe, allerdings noch ohne spezifisches Training.

Du sprichst von euch. Hat dich deine Schwester Elina von Anfang an in der Leichtathletik begleitet?
Ja, das war sehr cool! Ich hatte sie immer als Trainingspartnerin, sie war immer da und wir haben alles zusammen gemacht. Das war auch sehr motivierend [lacht].

Wie kam es, dass ihr euch später dann Eintracht Frankfurt angeschlossen habt?
Wir sind damals zu Herrn [Wolfgang; Anm. d. Red.] Heinig in die Gruppe gewechselt, dem damaligen Landestrainer und aktuellen Trainer von Gesa Krause. Das war 2006. Dadurch, dass er Trainer bei der Eintracht war und wir auch ausschließlich in Frankfurt trainierten, haben wir uns dazu entschieden, uns der Eintracht anzuschließen.

Ab diesem Zeitpunkt hast du in der Leichtathletik viel erlebt und erreicht. Was hast du eigentlich neben dem Sport gemacht?
Ich war zehn Jahre bei der Bundeswehr, quasi direkt nach dem Abitur und habe nebenbei mit dem Studium angefangen. Ich habe meinen Bachelor im Studiengang ‚Internationales Management‘ an der Hochschule Ansbach abgeschlossen und sitze momentan an meiner Masterarbeit im Controlling an der IUBH.

Was waren für dich die schönsten Momente mit Blick auf deine gesamte Karriere?
In der Jugend habe ich die bei den Deutschen Meisterschaften 2008 erlebt. Da konnte ich an einem Wochenende gleich zwei Mal Gold gewinnen. Zunächst über die 2000 Meter Hindernis, bei denen ich als Favoritin an den Start gegangen bin. Und am nächsten Tag habe ich überraschenderweise auch über die 1500 Meter Gold geholt. Das war ein toller Moment. Mit den müden Beinen vom Vortag als ‚Underdog‘ ins Rennen zu gehen und zu gewinnen, und dann noch im Olympiastadion, das war ein krasser Moment. In meiner Karriere bei den Etablierten erlebte ich meinen schönsten Moment bei den Europameisterschaften 2012. Zunächst war ich überhaupt froh, im Finale zu stehen. Und dann konnte ich da nochmal voll abrufen und einfach ein geiles Rennen abliefern. Wenn man dann als Sechstplatzierte ins Ziel kommt, ist einem die Platzierung fast egal.

Erst rund fünf Jahre nach dem EM-Finale 2012 hielt Diana Sujew ihre Silbermedaille in den Händen.

Du sprichst die EM an. Du bist damals als Sechste ins Ziel gekommen, aber mittlerweile stehst du aufgrund nachträglicher Doping-Disqualifikationen auf dem zweiten Platz. Überwiegt dabei die Freude über die Silbermedaille, oder der Unmut darüber, den Moment damals nicht voll gelebt haben zu dürfen?
Beides. Mir war immer klar, dass ich wohl nie Gold bei Olympia gewinnen würde. Aber mit einer internationalen Medaille nach Hause zu gehen und das erreicht zu haben, ist auch etwas so Besonderes, dass es mich sehr stolz macht. Auch im Nachhinein. Aber natürlich bleibt ein kleiner Wermutstropfen. Diesen Moment, auf dem Podium zu stehen Siegerehrung im vollen Stadion verpasst zu haben. Wer weiß, wie dieser Erfolg meine Karriere zum damaligen Zeitpunkt beeinflusst hätte. Aber so darf man gar nicht denken. Der Konjunktiv ist nicht so meins. Man kann die Dinge nachträglich so oder so nicht ändern. Es überwiegt der Stolz.

Einmal Silber bei Europameisterschaften, mehrmals Deutsche Meisterin und nun, im Alter von 30 Jahren, das Karriereende. Wie kam es zu der Entscheidung in diesem Winter?
Es war ein langer Prozess. 2019 wurde ich an der Ferse operiert, nachdem ich viele Jahre Schmerzen hatte und eine OP unumgänglich war. Der Verbandsarzt Andrew Lichtenthal, sagte damals, eine OP komme entweder vor oder nach der Saison in Frage. Für Olympia wäre es nach der Saison ziemlich knapp geworden, sodass ich mich entschieden habe, die Saison 2019 auszulassen und meinen Fuß operieren zu lassen. Die OP hat mich acht Wochen Training gekostet und der Einstieg nach langer Pause war auch nicht schmerzfrei. Das war mehr eine Wunschvorstellung. Es hat fast sechs Monate gedauert, bis ich normale Dauerläufe machen konnte. Danach lief das Training wieder gut, ich kam langsam wieder ins Rollen. Nach dem Trainingslager Anfang des letzten Jahres hatte ich auf einmal Probleme mit der Hüfte. Das hat mich wieder acht Wochen gekostet. Die Verschiebung von Olympia kam mir also sehr entgegen, ich war weit weg von einer guten Form. Im Mai dann die nächste Verletzung: eine Wadenzerrung. Auch da habe ich weitergemacht, mir gesagt, du hast noch ein Jahr Zeit bis Olympia, das kannst du schaffen.

Wann kamen das erste Mal Zweifel auf?
Anfang Dezember war ich erneut im Aufbautraining und im Aufholen von Defiziten und verletzte mich erneut. Diesmal zog ich mir einen Muskelfaserriss im Oberschenkel zu. Die Diagnose war hart. Erst nach drei Monaten hätte ich wieder die ersten schnellen Schritte machen dürfen. Da wurde mir bewusst, wie lang der Weg werden würde. Gefühlt war ich generell die letzten Jahre mehr auf dem Rad unterwegs als auf der Laufbahn. Es ist auch mein Anspruch, in Tokio oben anzugreifen. Aber es wurde mir bewusst, wie klein die Chancen geworden waren. Es war ein langer innerer Konflikt. Gebe ich auf? An so einem Punkt muss man auch Dinge akzeptieren und ehrlich zu sich selbst sein. Ich bin auch froh, dass mich der Sport nicht gefangen nimmt und ich nicht Gefahr gelaufen bin, mich zu verlieren.

Ich bleibe also auch in Zukunft mittendrin, nur mit einer anderen Perspektive, die auch sehr schön ist.

Wie haben deine Freunde und deine Familie reagiert?
Meine engsten Freunde und auch meine Schwester haben mich in meiner Entscheidung auch sehr unterstützt. Sie haben über die Jahre miterlebt, wie sehr ich auch gelitten habe. Und es ist jetzt auch gut so. Am Anfang fiel es mir extrem schwer, aber nach ein paar Wochen kann ich doch gut damit umgehen. Klar kam die Entscheidung für viele auch plötzlich, aber diejenigen, die eng an meiner Seite waren und mich täglich erlebt haben, wussten auch, dass es mit jeder neuen Verletzung härter werden würde.

Bleibst du der Leichtathletik denn erhalten?
Ja, klar! Mich interessiert es ja weiterhin. Wenn Wettkämpfe sind komme ich natürlich auch zum Zuschauen. Zur EM im nächsten Jahr, zu den Deutschen Meisterschaften. Leichtathletik bleibt trotzdem ein großer Teil meines Lebens. Meine Schwester arbeitet beim DLV. Ich bleibe also auch in Zukunft mittendrin, nur mit einer anderen Perspektive, die auch sehr schön ist.

Zukunft ist ein gutes Stichwort. Du hast 2016 dem ‚Spiegel‘ ein Interview gegeben, in dem du gesagt hast, die Leichtathletik sterbe in Anbetracht der geringen Begeisterungsfähigkeit für den Sport in Deutschland aus. Wie siehst du die aktuellen Entwicklungen?
Die Entwicklungen sind immer noch nicht wirklich besser. Früher gab es viel größere Teilnehmerfelder. Es ist einfach auffällig, dass sich immer weniger dem Sport anschließen. Man steht in Deutschland häufig vor der Frage ‚Uni oder Leistungssport‘ und hierzulande ist es nur möglich, einer der beiden Alternativen wirklich professionell nachzugehen. Dadurch hören viele Athleten sehr früh auf, da sie auch finanziell abgesichert sein müssen. So gehen viele Talente verloren. Außerdem gibt es andere Sportarten, die momentan einen Hype erleben. Leichtathletik ist da eher traditionell.

Was muss deiner Meinung nach passieren, um dieser Entwicklung entgegenzuwirken?
Das ist ja eine allgemeine Debatte. Wer im Alter von 28 Jahren keine Olympianorm erfüllt, ist in keinem Kader. So fehlt vielen Athleten die Unterstützung. Auch ich gehörte letztes Jahr zur deutschen Spitze, war aber lediglich im E-Kader. Die Debatte ist groß. Diejenigen, die schon in der Spitze sind, werden auch gut gefördert. Für die breite Masse, die auf dem Weg zur Spitze ist, fällt die Förderung leider weg.