09.06.2021

„Ein wenig surreal“

Marvin Heinrich bejubelte am vergangenen Wochenende bei den Deutschen Meisterschaften in Braunschweig den ersten nationalen Titel seiner Karriere. Wir haben ihn im Anschluss an seinen Triumph getroffen.

Marvin, Deutscher Meister über 800 Meter im Jahr 2021 – wie hört sich das an?
Ich weiß gar nicht, wie ich das beschreiben kann. Momentan wirkt es sogar immer noch ein wenig surreal. Letztes Jahr habe ich eine sehr schwierige Saison gehabt, in der es wirklich gar nicht gut lief und in diesem Jahr funktioniert einfach alles. Ich glaube, damit hat kaum jemand gerechnet, aber es ist auch die Belohnung für unglaublich harte Arbeit, die ich täglich investiert habe, die sich jetzt auszahlt. Ich kann das mit fortschreitender Zeit immer mehr begreifen und freue mich von daher jeden Tag ein bisschen mehr.

Hast du vor dem Rennen damit gerechnet, den Titel zu holen?
Wir sind definitiv mit dem Ziel nach Braunschweig gefahren, den Titel nach Frankfurt zu holen. Vor dem Rennen habe ich mich dann auch immer mehr gepusht und zu mir selbst gesagt: das Ding musst du heute gewinnen, egal wie. Wir hatten in unserer Trainingsgruppe mit meinem Mannschaftskollegen Dennis Biederbick und Maximilian Klink (LG Dornburg) natürlich auch einen Plan erarbeitet, der dann allerdings nicht ganz aufgegangen ist. So musste ich letztendlich, auf gut Deutsch gesagt, die Pobacken zusammenkneifen, um den Titel zu holen, was ja auch glücklicherweise geklappt hat.

Da kam dann auch dieses Gefühl in mir auf: Das gewinne ich heute und das lasse ich mir jetzt auch von niemandem mehr wegnehmen.

Marvin Heinrich

Gab es irgendwann im Rennen einen Moment, in dem du realisiert hast, dass dir den Sieg keiner mehr nehmen wird?
Bei der 600-Meter-Marke habe ich gemerkt, dass ich mich zu diesem Zeitpunkt noch sehr gut gefühlt habe, obwohl Marc Reuther [ebenfalls Eintracht Frankfurt; Anm. d. Red.] mich dort überholt hat. Ich habe dann bis zum Eingang der Zielgeraden gewartet, um nicht in der Kurve überholen zu müssen. Dann habe ich zum Zielsprint angesetzt und konnte auch die Führung ergreifen. Da kam dann auch in mir dieses Gefühl auf: Das gewinne ich heute und das lasse ich mir jetzt auch von niemandem mehr wegnehmen.

Was hast du zuerst gedacht als du die Ziellinie überquert hast?
Es war gar nicht so, dass ich für mich unbedingt realisiert habe, dass ich gewonnen habe. Ich denke nach solch großen Rennen immer zuerst an meinen Trainer Georg Schmidt und stelle mir die Frage: was denkt er jetzt wohl? Ich finde es dann immer witzig, seine Reaktion zu sehen und freue mich darüber, den Erfolg gemeinsam zu feiern. Natürlich habe ich auch an meine Familie gedacht aber deren Glückwünsche konnte ich erst später nachlesen, da ich direkt nach dem Wettkampf zur Dopingkontrolle musste.

Wie hat dein Trainer denn reagiert als er dich zum ersten Mal nach dem Lauf gesehen hat?
Georg Schmidt kam zu mir und sagte: Es sei das coolste – cool dabei im Sinne von cool geblieben – Rennen, das ich je abgeliefert habe. Er hätte nicht ein Mal im Rennverlauf daran gezweifelt, dass wir die Möglichkeit haben, das Ding zu gewinnen und immer das Gefühl gehabt, dass alles unter Kontrolle ist. Natürlich haben wir uns dann auch enorm über den Sieg gefreut und gemeinsam gefeiert. Genauso mit Dennis Biederbick, der mit der Bronzemedaille auch stark war und ein tolles Rennen abgeliefert hat.

Wie geht es denn jetzt für den Deutschen Meister Marvin Heinrich weiter?
Jetzt am kommenden Wochenende geht es für uns nach Polen. Es gibt dort ein sehr schnelles Rennen, bei dem auch der amtierende Halleneuropameister am Start sein wird. Danach geht es für uns in Deutschland noch zu den Stationen Regensburg und Leverkusen. Am besten, ohne mir irgendwelchen Druck machen zu wollen, klappt es am Sonntag bereits schon, den Sack endgültig zuzumachen.

Ich glaube daran, dass ich es schaffen kann.

Marvin Heinrich

„Den Sack zuzumachen“ heißt?
Natürlich geht es dabei auch um die Zeit von 1:45,20 Minuten. Viele haben mich in letzter Zeit immer wieder konkret danach gefragt, wie es mit Olympia aussehe. Ich glaube daran, dass ich es schaffen kann, aber ich halte mich immer so weit wie möglich entfernt von dem Stichwort Olympianorm. Für mich ist die Herangehensweise zu verbissen und nicht die Richtige, zu sagen: Ich stelle Olympia über alles und möchte das zu jedem Preis. Vielmehr geht es mir darum, meine Bestzeit weiter auf ein Top-Niveau zu verbessern und im Hinterkopf weiß ich, dass das gleichbedeutend mit einer Qualifikation sein könnte. Ich möchte mir damit auch den Druck nehmen.

Für viele sind die Olympischen Spiele das Ziel schlechthin. Würde sich mit einer Teilnahme auch für dich ein Lebenstraum erfüllen?
Wie ich eben schon gesagt habe, halte ich mich was das angeht immer sehr bedeckt. Ich habe nicht mein ganzes Leben dafür trainiert, um unbedingt zu Olympia zu kommen und schon gar nicht in diesem Sommer damit gerechnet. Für mich gilt es immer von Saison zu Saison zu schauen und in jedem Jahr, das bestmögliche aus meinem Körper herauszuholen. Wenn das klappt, könnte es in diesem Jahr tatsächlich mit der Zeit passen. Aber wenn nicht, geht für mich auch nicht die Welt unter. Ich sehe das ganz entspannt. Mir bleibt auch noch viel Zeit, um an großen Wettkämpfen teilzunehmen. Wenn wir uns als Team und Trainingsgruppe gemeinsam mit unserem Trainer Georg Schmidt weiterhin so gut entwickeln, wie momentan der Fall, steht uns noch so einiges bevor.

Geht Marvin Heinrich dann zukünftig nicht mehr als 1500-Meter-Spezialist, sondern als 800-Meter-Spezialist ins Rennen?
Ja [lacht]. Ich denke, dass kann man in Zukunft so sagen. Dann habe ich jetzt wohl ganz offiziell die Strecke gewechselt. Das Training bleibt dennoch dasselbe.