26.01.2021

„Mit Geld nicht zu kaufen“

Seit sage und schreibe 46 Jahren ist Günter Eisinger schon Trainer von Eintracht-Athleten und heimste zahlreiche Titel ein. Ihn aber nur an Erfolgen zu messen, würde ihm nicht gerecht werden.

2020 wurde Günter Eisinger die Sportplakette des Landes Hessen verliehen.

Eine Geschichte über Günter Eisinger auf den zwei geplanten Klubmagazin-Seiten unterzubringen, ist ein schwieriges, wenn nicht sogar ein unmögliches Unterfangen – das wird mir schon nach dem ersten Telefonat klar. Weitere stundenlange Gespräche folgten, in denen er mir zahlreiche Geschichten über seinen Werdegang, seinen Beruf als Lehrer, vor allem aber mit Stolz über seine Sportler sowie damit verbunden viele äußerst unterhaltsame Anekdoten aus Kuba, China oder Bali erzählte. Man könnte ihm stundenlang zuhören. Und mit jedem Wort, das Günter ausspricht, spürt man seine Liebe und Leidenschaft für seine Athleten und das Trainerdasein. Günter liefert Stoff für ein Buch oder besser gesagt einen Wälzer.

Die Anfänge  

Seit der gebürtige Eberstädter im zarten Alter von fünf Jahren dem Turn- und Sportverein Griesheim (bei Darmstadt) beitrat, ist der Sport sein absoluter Lebensmittelpunkt. Dass aber einmal die Leichtathletik, im Speziellen der Hochsprung, seine Karriere prägen würden, war damals noch absolut nicht abzusehen. „Wir hatten bei der TuS die Möglichkeit, überall mal reinzuschnuppern. So habe ich von Turnen über Fußball, Tischtennis, Leichtathletik alles einmal ausprobiert. Im Winter haben wir Handball gespielt“, berichtet Günter über seine sportlichen Anfänge. In den Leichtathletik-Wettbewerben bei den Turnern erzielte er bundes-weite Erfolge – und wurde im heute fast unbekannten Schleuderballwurf 1968 Deutscher Meister. Schon in seinen jungen Jahren bei der TuS fiel er durch ehrenamtliches Engagement auf.

Gerd Nagel war Günters erster Weltklasse- Athlet. Zahlreiche weitere sollten folgen.

Die ersten Schritte im Beruf und als Trainer  

Mit inzwischen 20 Jahren stellte Günter die Weichen für seine berufliche Zukunft. 1970 legte er in Frankfurt eine staatliche Prüfung zum Turn- und Sportlehrer ab und fing direkt im Anschluss an, am Friedberger Burggymnasium zu unterrichten. 47 Jahre lang war er am Burggymnasium Sportlehrer und hörte erst 2017 im Alter von 67 Jahren auf. Dort war er unter anderem zehn Jahre Vorsitzender des Vereins ehemaliger Burgschüler und auch Schulsportkoordinator im Wetteraukreis. Parallel zu seinem Einstieg als Lehrer fing er 1971 in Bad Nauheim und Friedberg als Leichtathletiktrainer an. Zu jener Zeit entdeckte Günter in einer Nachbargemeinde von Friedberg ein junges deutsch-amerikanisches Talent Namens Douglas Henderson. Nach Gesprächen mit den Eltern und mehreren Tagen Probetraining konnte er ihn für die Leichtathletik gewinnen. Douglas wurde nur ein Jahr später im Dreisprung Deutscher B-Jugend-Bester und 1974 Deutscher Meister in der A-Jugend. Das sollte der Beginn einer großen Trainerkarriere werden. Nachdem Günter 1975 als Trainer nach Frankfurt gewechselt war, entschied sich Douglas, in Bad Nauheim zu bleiben. Vier Jahre später wurde er Deutscher Meister bei den Männern – zwar mit einem anderen Trainer, aber inzwischen als Adlerträger.

Günters erster Spitzenathlet: Gerd Nagel  

1976 lernte Günter durch einen Zufall über Kristiane Nagel, eine hessische Hürdensprinterin, auch deren Bruder Gerd kennen. Beide vereinbarten in den Ferien ein Probetraining. Danach entschloss sich Gerd, von Sulingen bei Bremen nach Frankfurt zu wechseln. Mögliche Hindernisse wie Ausbildung und Unterkunft wurden zuvor geregelt. Glücklicherweise wohnte Gerds Oma in Sprendlingen und nahm ihren Enkel auf, und auch eine Konditorlehre, um später alternativ die Konditorei seines Vaters übernehmen zu können, wurde in Darmstadt gefunden. Es ist charakteristisch für Günter, bei allem Fokus auf die sportlichen Ziele über den Tellerrand hinauszuschauen und sich um das Wohlergehen seiner Athleten zu kümmern. Dies ist nur ein Beispiel von vielen, vielen weiteren. Gerd trainierte also nun in Frankfurt und musste trotz täglichem Training auch jeden Morgen um 5 Uhr seine Ausbildung beginnen. „Trotz oder gerade wegen dieser extremen Doppelbelastung wuchs Gerd über sich hinaus und entwickelte sich zu meinem ersten Weltklasse-Athleten“, blickt der 70-Jährige zurück.

Was dann folgte, fassen wir kurz zusammen: 1977 wurde Gerd Hessischer Meister, 1978 Vierter bei der Hallen-EM in Wien, 1979 sprang er in Eberstadt zusammen mit Carlo Thränhardt und Dietmar Mögenburg gemeinsam gleich zweimal Deutschen Rekord. Ebenfalls 1979 gewann Gerd in Stuttgart überraschenderweise seinen ersten Deutschen Meistertitel. Mittlerweile war er Student geworden und holte bei der Universiade in Mexico-City seinen ersten internationalen Titel (Studentenweltmeister). 1982 gewann er Bronze im Hochsprung bei der Leichtathletik-EM in Athen. Und mit Gerd war Günters erster Spitzenathlet geboren. Zahlreiche weitere sollten folgen und damit die Reisen um die gesamte Welt beginnen. Bis heute brachten die Athleten ihn in 56 Länder. Dazu aber später mehr.

Durch den Sport und mit seinen Athleten hat Günter inzwischen 56 Länder bereist. Hier ist er mit Ariane auf Bali.

Ziehtochter Ariane Friedrich  

2003 kam mit Ariane Friedrich eine hochtalentierte Athletin unter Günters Fittiche. Sie war erst 19 Jahre alt, hatte gerade das Abitur gemacht und kam aus einem 300-Seelen-Nest St. Ottilien nach Frankfurt. Ariane genoss das neue Leben in der Großstadt und hatte Mitbewohner im Internat, die für ordentlich Stimmung sorgten. Zwar wurde sie Junioren-Europameisterin 2003, nationale Meisterin 2004, aber in den Jahren2005 und 2006 stagnierten ihre Leistungen. Es konnte schon mal passieren, dass sie ihrem Trainer nachts um 2 Uhr eine SMS schickte, dass sie mit einem Jäger unterwegs sei und gerade einen Bock geschossen habe. Das wurde Günter irgendwann zu bunt, ein klärendes Gespräch musste her, in dem er circa 30 Punkte auflistete, über die unbedingt gesprochen werden musste.

Bei dem darauffolgenden Gespräch flossen viele Tränen. Erfreulicherweise stellte Ariane ihr Leben um, wurde ein Vorbild in Sachen Professionalität – und eine Weltklasse-Athletin: Olympia-Vierte in Peking 2008, Gold bei der Hallen-EM in Turin (2009), Bronze bzw. im Nachhinein Silber bei der Heim-WM in Berlin (2009), Deutscher Rekord mit 2,06 Metern (2009; bis heute gültig), Bronze bei der EM-in Barcelona (2010) und zahlreiche nationale sowie internationale Titel mehr. „Heute bin ich froh, dass Ariane ihre Jugend trotz des Sports ausgelebt hat“, kann Günter inzwischen darüber lachen. Beide haben in den vielen Jahren und den unzähligen Reisen ein sehr inniges Verhältnis aufgebaut und auch nach Arianes Karriereende im Jahr 2016 bis heute nahezu täglich Kontakt. „Sie ist wie eine Ziehtochter“, sagt Günter.

Der Sport hat mir Erlebnisse ermöglicht, die ich mir mit viel Geld nie hätte kaufen können.

Günter Eisinger

Günter als Weltenbummler 

Als Günter mit Anfang 20 Trainer wurde, träumte er von der großen weiten Welt. Er träumte von Kanada, von der Chinesischen Mauer, von Amerika und von so vielen Orten, Zielen und Ereignissen. Dank des Sports und seiner zahlreichen Athleten hat er inzwischen viele Teile der Welt gesehen und die unterschiedlichsten Kulturen kennengelernt. „Da ich nicht als Tourist auf Urlaubstour war, konnte ich sehr oft hinter die Kulissen schauen und wurde nicht selten als Gast mit internationalem Familienanschluss aufgenommen“, gerät er ins Schwärmen. Günter taucht ein in seine Erinnerungen und erzählt unterhaltsame Anekdoten von einer Silvesterparty mit Sambatänzerinnen auf Kuba, von einem Ausflug zur Chinesischen Mauer morgens um 5 Uhr, von einem Trip mit französischen Bergleuten in eine der tiefsten Kohlegruben der Welt (Forbach; Frankreich), von einer blutrünstigen Essenseinladung in China, vom Training mit Kokosnüssen statt Medizinbällen in Samarinda (Indonesien), von einem fünftägigen Trip mit Ariane auf Bali und so viele mehr. „Der Sport hat mir Erlebnisse ermöglicht, die ich mir mit viel Geld nie hätte kaufen können“, so Günter.

Entscheidungen und Träume  

War bei all der Leidenschaft für den Sport niemals der Gedanke da, den Lehrerjob an den Nagel zu hängen und hauptberuflich Trainer zu werden, frage ich. Natürlich habe es Angebote gegeben, sagt er. „Um ehrlich zu sein, gab es zwei Angebote, bei denen ich beinahe schwach geworden wäre, aber glücklicherweise ist es anders gekommen“, antwortet mir Günter. „Ich war 47 Jahre an derselben Schule und seit 1979 trainiere ich Eintracht-Athleten. Ich mag Sicherheit, ich bin zufrieden mit meinen Entscheidungen und meinem Leben.“ Und fügt unmittelbar hinzu, dass er trotzdem auch mit 70 Jahren noch Visionen, Träume und Wünsche habe, die er erleben und teilen möchte. Welche diese seien, möchte ich wissen. „Ich würde gerne mit meinen Sportlern noch nach Australien, Neuseeland und Brasilien reisen. Dort war ich noch nicht. Dann würde ich mir die Business Class im Flieger gönnen“, lacht das Eintracht-Urgestein. Wir drücken dir die Daumen, Günter, und freuen uns schon sehr auf weitere Geschichten. Nun sind es eben doch drei Seiten geworden …

Neben Günter Eisinger beleuchten wir in der neuen Ausgabe der „Eintracht vom Main“ die gesamte Leichtathletik-Abteilung: Eintracht vom Main - Ausgabe 42, Januar 2021