27.01.2021

„Positive Aufbruchstimmung“

Seit September ist Michael Krichbaum der gewählte Leiter der Leichtathletikabteilung. Im Interview spricht er über die Neuausrichtung, die Herausforderungen, den Wohlfühlfaktor und Ziele.

Abteilungsleiter Michael Krichbaum sieht seine Abteilung gut aufgestellt.

Michael, wie und wann bist du zur Eintracht gekommen?
Ich bin seit 2017 Mitglied bei der Eintracht. Vorher war ich bei der TSG Nordwest und habe den Verein als Trainer unterstützt. Als ich Zehnkämpfer und Eintrachtler Andreas Bechmann von seinem damaligen Trainer Daniel Limburger übernommen habe, weil er leider aus privaten Gründen kürzertreten musste, bin ich zur Eintracht gewechselt. Mit dem Vereinswechsel wurde ich 2017 direkt auch Jugendleiter. Ich bin also erst relativ spät Adlerträger geworden, habe dann aber auch recht schnell Verantwortung übernommen (lacht).

Wie bist du denn zur Leichtathletik gekommen?
Ich komme aus dem Siegerland, wurde als Neunjähriger beim TV Jahn Siegen Mitglied und bin es heute noch. Bis zum Abitur habe ich Skilanglauf auf Leistungssportniveau betrieben und auch diverse Jugendnationalmannschaften durchlaufen. Anschließend gab es drei Möglichkeiten, Profi zu werden: entweder zum Bund, zum Zoll oder zum Bundesgrenzschutz. Das war alles nicht das, was ich wollte, und damals war der Skilanglauf der Männer auch noch nicht sehr erfolgreich. So habe ich dann entschieden, den Leistungssport an den Nagel zu hängen und die akademische Ausbildung gewählt. Zur Leichtathletik bin ich dann über meinen Freundeskreis gekommen. Schon früher habe ich im Sommer immer mal wieder an Cross- und Wiesenläufen teilgenommen. Nach dem Wehrdienst wurde ich angesprochen, ob ich mir nicht vorstellen könnte, als Übungsleiter für das Kindertraining einzusteigen. So bin ich damals dazu gekommen und seit 2002 Übungsleiter. Mitte der 90er Jahre war übrigens Jürgen Sammert hauptamtlicher Trainer beim TV Jahn Siegen. So trifft man sich in Frankfurt wieder.

Anfang des Jahres 2020 trat der bisherige Abteilungsleiter Wolfram Tröger zurück. Wie kam es dann zur Entscheidung, den neuen Vorstand zu bilden und sich in dieser Konstellation aufzustellen?
Wir mussten relativ schnell handeln und eine neue Mannschaft zusammenstellen. Dabei war uns vor allem Vertrauen in der Zusammenarbeit und Transparenz enorm wichtig. Der neue Vorstand setzt sich nun aus sechs Personen zusammen, vier waren bereits zuvor im Vorstand. Marianne Bechmann ist schon seit vielen Jahren Nachwuchskoordinatorin und hat nun zusätzlich den Posten der Schriftführerin inne. Es ist wichtig, jemanden zu haben, der die Protokolle schreibt, diese transparent weiterträgt und eng mit der Geschäftsstelle am Riederwald zusammenarbeitet. Ihr Mann Jürgen blieb als Sportwart und stellvertretender Abteilungsleiter weiterhin an Bord. Mir war es ein großes Anliegen, dass auch Ilse Bechthold im Vorstand bleibt. Ihre Vernetzung und ihre Erfahrungen sind für uns enorm wichtig. Zudem scheut sie sich auch nicht, ihre konträre Meinung mitzuteilen. Und ich selbst war zuvor Jugendleiter und habe nun die Leitung der Abteilung übernommen. Mit Holger Kunz – verantwortlich für die Finanzen – ist es uns gelungen, einen sehr engagierten Mann ins Boot zu holen. Er ist ein Urgestein und hat bereits in den 90ern angefangen, bei der Eintracht zu trainieren. Und mit Bernd Knack als neuen Jugendleiter konnten wir einen jungen Kerl überzeugen, der im Nachwuchs sehr gut vernetzt ist und der Eintracht Frankfurt lebt. 

Michael Krichbaum mit Weitspringerin Nathalie Buschung.

Welche Ziele habt ihr euch gesetzt? Welche Philosophie und welche Veränderungen strebt ihr an?
Unsere mittelfristigen Ziele sind, die Vermarktung voranzutreiben und die notwendigen sportlichen Weichen zu stellen. Hierfür wollen wir hin zu mehr hauptamtlichen Kräften, ohne die Basis zu vernachlässigen. Ein hauptamtlicher Trainer hat einen anderen Zugang zu den Athleten, da er mehr Zeit in den Leistungssport investieren kann. So engagiert unsere Ehrenamtler sind und so gute Arbeit sie machen, stoßen sie aus Zeitgründen an ihre Grenzen. Hinzu kommt, dass für einen talentierten Sportler nicht nur die Rahmenbedingungen stimmen müssen, sondern vor allem der Trainer ausschlaggebend ist.  Wir brauchen alles: gute hauptamtliche Trainer, gute Rahmenbedingungen und unsere engagierten Ehrenamtler. Wie vorhin schon erwähnt, ist für uns Transparenz enorm wichtig, Ehrlichkeit und vor Ort präsent zu sein, um zeigen zu können, woran wir arbeiten und was uns am Herzen liegt. Bisher haben wir immer offene Türen vorgefunden. Zudem legen wir Wert darauf, für alle Athleten ein offenes Ohr zu haben und unsere Handlungen an den Bedürfnissen der Sportler auszurichten.

Und wie sehen die sportlichen Ziele aus?
Sportlich legen wir den Fokus ganz klar auf die Entwicklung eigener Talente. Wir wollen sie für die Eintracht sowie die Stadt Frankfurt begeistern und ihnen Möglichkeiten aufzeigen, Spitzensport und Ausbildung gut miteinander zu verbinden. Eintracht Frankfurt soll und muss die erste Anlaufstelle für Talente aus der Rhein-Main-Region und Hessen sein. Einen ersten Schritt haben wir bereits getan, indem wir die LG Eintracht Frankfurt aufgelöst haben und seit dem 1. Januar wieder eigenständig sind. So können wir zukünftig leistungssportliche Aktivitäten viel besser bündeln, und zwar unter dem Dach von Eintracht Frankfurt. Auch Synergien mit anderen Abteilungen werden wir in Zukunft besser nutzen können. Außerdem werden wir die Leichtathletik der Eintracht nun in der Vermarktung vorantreiben. Hierbei können wir auf die Unterstützung der Eintracht-Familie zählen, um ein größeres Netzwerk aufzubauen und die Leichtathletik auf die Tages-ordnung zu bringen. Wenn es uns gelingt, den ersten Partner an Land zu ziehen, bin ich sicher, dass weitere folgen werden. Ich bin davon überzeugt, dass wir ein tolles Produkt haben und großartige Athleten. Auch Unternehmen können davon profitieren.

Es gibt denkbar einfachere Zeiten als die Corona-Pandemie als Start für einen neuen Abteilungsvorstand. Wie verliefen die ersten Monate?
Nach der kommissarischen Übernahme des Vorstands im Mai waren die ersten beiden Monate dadurch geprägt, uns einen Überblick zu verschaffen: Wo stehen wir? Welche Einnahmen und Ausgaben haben wir? Wie sind die Abläufe und wer sind unsere Ansprechpartner für welche Anliegen auf der Geschäftsstelle? Hierbei haben wir sehr große Unterstützung von jedem Einzelnen erfahren, sodass wir uns schnell in die neuen Aufgaben hineinfinden konnten. Die Organisation des Sports verlief im Sommer noch relativ unproblematisch. Durch die Lockerungen konnten wir den Trainingsbetrieb einigermaßen aufrechterhalten und für alle Gruppen Training anbieten. Da die Trainingsgruppen kleingehalten werden mussten, waren wir gezwungen, Ausweichtrainingsplätze zu suchen – und sind seither mit einigen Trainingsgruppen wieder auf dem Gelände am Riederwald. Es war zwar unser Ziel, Nachwuchstraining in der Heimat der Eintracht zu geben, auch u.a. um Kinder aus dem Westen und Norden für uns zu gewinnen, durch Corona wurde der Prozess nun aber deutlich beschleunigt. Die neue alte Trainingsstätte wurde von den Kindern und Eltern sehr gut angenommen. Und wir sind gekommen, um zu bleiben [lacht].

Die Sportler fühlen sich bei der Eintracht wohl und ich bin sicher, dass das in Zukunft noch besser werden kann.

Michael Krichbaum

Neben den Herausforderungen der Trainingsbedingungen durch die Corona-Krise standen auch zahlreiche Athletengespräche auf der Agenda. Schließlich schloss Ende November das Transferfenster.
Nach dem Rücktritt von Wolfram Tröger haben wir direkt versucht, mit jedem Top-Athleten Kontakt aufzunehmen. Es war uns wichtig, ihnen das Signal zu senden, dass wir für sie da sind. Im Juli gab es dann eine offizielle Vorstellungsrunde. Unsere Aufgabe war klar: Wir wollten jedem Athleten die Chance und die Sicherheit geben, sich gut auf die verschobenen Olympischen Spiele vorzubereiten. Unser Ziel war es, alle Athleten, die wir zu dem Zeitpunkt unter Vertrag hatten, halten zu können – und das ist uns gelungen. Wir sind sehr glücklich darüber und es zeigt aber auch, dass wir ein guter Standort sind. Die Athleten haben uns einen kleinen Vertrauensvorschuss gegeben, jetzt liegt es an uns, diesen in Zukunft zu bestätigen und weiter auszubauen.

Was gab für die Athleten den Ausschlag? Vermutlich nicht das Geld …
Ausschlaggebend war für unsere Athleten das Wissen um ein gutes Umfeld, gutes Training und – auch wenn wir nicht die Bestbezahlenden sind – wir bieten Sicherheit. Caro Schäfer und Katha Steinruck sind in Frankfurt und bei der Eintracht inzwischen fest verankert und man spürt bei beiden, dass sie in Frankfurt zu Hause sind. Beide sind so erfolgreich, dass für sie ihr Umfeld und der Wohlfühlfaktor oberste Priorität haben. Andreas Bechmann ist ein Frankfurter Bub durch und durch. Er ist hier groß geworden und hat schätzen gelernt, was hier möglich ist. Die Sportler fühlen sich bei der Eintracht wohl und ich bin sicher, dass das in Zukunft noch besser werden kann.

Auffällig war, dass alle Gespräche im Sportleistungszentrum am Riederwald, der Heimat der Eintracht, geführt wurden …
Das stimmt, wir haben versucht, alle Athletengespräche am Riederwald durchzuführen. Es beeindruckt die Athleten schon, das ganze Sportgelände, die Geschäftsstelle mit rund 50 Mitarbeitern in den verschiedenen Abteilungen zu sehen. Damit können einerseits wir bei unseren Gesprächen punkten, aber auch der Athlet erfährt eine Wertschätzung und sieht, dass Interesse an ihm gezeigt wird.

Die LG Eintracht Frankfurt wurde zum 1. Januar aufgelöst, die Top-Athleten konnten alle gehalten werden, vielversprechende Nachwuchshoffnungen sind hinzugekommen. Was kommt als Nächstes?
Es ist überall eine positive Aufbruchstimmung zu spüren – egal, ob in der Abteilung, bei den Trainern oder bei unseren Athleten. Auch der Adler zieht und wird mit Stolz getragen. Und das kommt als Nächstes: Wir werden zukünftig einheitlich auftreten! Das liegt mir sehr am Herzen. Mein Aha-Erlebnis hatte ich im Jahr 2019 bei den Deutschen Meisterschaften in Berlin, als wir im 400-Meter-Hürden-Finale drei Jungs hatten, die jeder ein unterschiedliches Trikot trugen. Alle sollen zukünftig im gleichen Dress von Nike und mit dem Adler auf der Brust starten. Wir haben viele Visionen – von weiteren Trainingsplätzen für den Leistungssport über Lauftreff-Angebote oder einen sportartspezifischen Shop, wie es die Tennisabteilung oder die Triathleten bereits haben, um nur einige Visionen zu nennen.