13.07.2021

„Schon cool“

Am Wochenende sicherte sich Andreas Bechmann den U23-Europameistertitel im Zehnkampf mit neuer persönlicher Bestleistung von 8142 Punkten. Wir haben den Adlerträger getroffen und zu seinem Titel befragt.

Andreas, U23-Europameister im Zehnkampf, wie hört sich das an?
Schon cool (lacht)! Europameister, Bestleistung in einem schwierigen Wettkampf, dann doch mit meinem Handicap, das ich ja durch meine Fußverletzung weiterhin habe. Dennoch gewonnen zu haben, ist schon ein besonderes Gefühl. Gleichzeitig ist das auch ein mehr als versöhnlicher Abschluss der schwierigen Saison.

Der Zehnkampf bei den Europameisterschaften war geprägt von Auf und Abs – und einem dann doch perfekten Ende. Spiegelt das auch deine ganze Saison wider?
Ich denke, dass kann man genau so sagen. Es war eine schwere Saison und ein schwieriger Zehnkampf. Durch die Fußverletzung konnte ich meine starken Sprungdisziplinen in diesem Jahr kaum ausspielen. Auch bei den Europameisterschaften musste ich aus Sicherheitsgründen den Hochsprung frühzeitig beenden und war schlussendlich auch im Stabhochsprung einfach froh, irgendwie die 4,80 Meter gesprungen zu sein.

Wie fühlt sich das an, als Zehnkämpfer an den Start zu gehen und zu wissen, dass die eigenen Paradedisziplinen auf einmal zum Problemen werden?
Diese Gewissheit ist wirklich hart. Als Zehnkämpfer lebt man ja von seinen Stärken und motiviert sich dadurch immer wieder für die eher schwächeren Disziplinen. Nichtsdestotrotz habe ich versucht mich durchzukämpfen und versucht, andere Stärken zu zeigen und zu entwickeln. Ich bin daher jetzt übrigens auch Kugelstoßer und Weitspringer geworden (lacht).

Anm. d. Red.: Bechmann konnte bei den Europameisterschaften seine persönlichen Bestleistungen im Weitsprung und im Kugelstoßen deutlich verbessern. In beiden Disziplinen steigerte sich der Frankfurter um 30 Zentimeter.

Im Weitsprung lief es zunächst überhaupt nicht. Sturz im ersten Versuch, ungültiger im zweiten. Wie hast du deinen Weitsprungwettkampf wahrgenommen?
Es ging ja schon sehr bescheiden los. Im ersten Versuch war ich noch nicht so ganz bei mir und habe auch noch nicht das richtige Wettkampfgefühl entwickeln können, was dann letztendlich darin resultierte, dass es mich einmal lang gemacht hat. Im Nachhinein betrachtet bin ich echt froh, dass mir nichts weiter passiert ist. Ich habe zum Glück geistesgegenwärtig noch einen Zwischenschritt gemacht und bin weich in der Grube gelandet. Der zweite Versuch war dann buchstäblich „vom Winde verweht“. Durch die schlechten Bedingungen und die starken Böen war es teilweise unglaublich schwer einzuschätzen, wie man den Absprung optimal trifft.

Was ist dir dann vor und nach deinem letzten Versuch durch den Kopf gegangen?
Mir ist tatsächlich häufiger das Szenario von Simon Ehammer, einem guten Freund und Schweizer Zehnkämpfer, durch den Kopf gegangen. Er musste diese Saison schon häufiger in den dritten Versuch und hat durch drei ungültige auch schon so manch einen Zehnkampf verloren. Ich dachte mir dann einfach: „Andreas, du machst es jetzt einfach so wie immer. Kein großes Risiko, keine spezielle Technikansteuerung, einfach nur springen.“ Dann bin ich angelaufen und abgesprungen und dachte im ersten Moment: „Mist, das war schon wieder ganz schön knapp.“ Ich war auch bei diesem Versuch wieder extrem nah am Brett und hatte durch die Aufregung kaum ein Gefühl für die Weite. Die Kampfrichterin zeigte auch zunächst keine Fahne und sagte mir, dass nun mit Videobeweis kontrolliert wird, ob der Versuch überhaupt gültig war. Das hat sich angefühlt wie eine Ewigkeit. Als dann angefangen wurde zu messen und dann noch so eine Riesenweite dabei rumgekommen ist, sind mir 1000 Steine vom Herzen gefallen.

Auch beim Stabhochsprung ging es für dich, bei deiner Einstiegshöhe, in den finalen Durchgang. Wie bist du damit umgegangen, erneut diesen Druck zu erleben?
Stab war besonders schwierig, da dort die Belastung für meinen verletzten Fuß auch sehr hoch war. Durch die verpassten Trainingseinheiten wusste ich, dass es schwer werden würde an diesem Tag wirklich hoch zu springen. Zwei ungültige können einem dann jederzeit passieren und sind in angeschlagener Form dann wirklich eine unvorstellbare Belastung für den Kopf. Ich hatte mich auch im Vorfeld, wissend, dass es mit dem Fuß schwer werden würde, damit auseinandergesetzt, wie es sein könnte aufzuhören oder rauszufliegen. Das hat es mir ermöglicht, besser mit dem Druck umgehen zu können.

Nach dem Stabhochsprung warst du weiterhin deutlich in Führung. Wann wusstest du, dass dir der Titel an diesem Tag kaum mehr zu nehmen ist?
Ehrlich gesagt war ich nach dem Stabhochsprung eher kurz davor aufzuhören. Mein Fuß hat zu diesem Zeitpunkt so sehr wehgetan, dass es mir kaum möglich war, richtig Speer zu werfen. Irgendwie habe ich mich dann aber doch überwunden und wusste aber auch, dass ich noch zwei gute Leistungen in Speer und 1.500 Meter brauchen würde, um zu gewinnen. Irgendwie konnte ich dann einen auf 55 Meter raushauen und wusste nach dem Speerwerfen, dass ich eigentlich nicht mehr einzuholen war. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt umgerechnet 30 Sekunden Puffer auf Platz zwei und bei den Bedingungen wäre es einem Zehnkämpfer kaum möglich gewesen, diese 30 Sekunden herauszulaufen. Die Strategie war es dann, die Führung einfach sicher zu verteidigen und das ist mehr als gut gelungen.

Wann hast du dann zum ersten Mal realisiert, dass du es geschafft hast und jetzt Europameister bist?
Als ich die Ziellinie überquerte wusste ich, dass es gereicht haben muss. Es hat auch nicht lange gedauert bis mein Teamkollege Nils Laserich (TSV Bayer 04 Leverkusen; Anm. d. Red.) zu mir rannte und mir zurief: „Du hast gewonnen, du hast gewonnen, da ist das Ding.“ Als ich dann noch erfahren habe, dass ich sogar eine Bestleistung aufstellen konnte mit einem Knochenmarködem im Fuß, das war schon wirklich ein unglaublich schöner Moment.

Es gibt immer viele Menschen, die einen auf dem Weg zu großen Titeln und Erfolgen begleiten. An wen hast du zuerst denken müssen?
Ganz klar an meinen Trainer Jürgen Sammert. Ohne Jürgen wäre ich heute nicht da, wo ich bin, sondern ganz weit davon entfernt, Europameister zu sein. Der Trainer ist in einem Sportsystem immer die wichtigste Person und mit Jürgen habe ich den besten, den ich mir wünschen kann.

Steht in dieser Saison noch etwas an – oder war es das jetzt?
Ich bin Europameister, das wird diese Saison nicht mehr besser.